Matthäuspassion - Detmold
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Zum 18.01: Bach gegen seine Liebhaber verteidigt

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Beitrag von Grotjahn Mo Jan 11, 2016 8:11 pm

Bitte lesen Sie den Text von Theodor W. Adorno: Bach gegen seine Liebhaber verteidigt. Sie finden ihn im Downloadbereich des Seminars: http://muwi-detmold-paderborn.de/de/downloads-links/download-seminar-unterlagen/matthaeuspassion.html, Benutzername: matthäuspassion, Passwort: ws1516.
Wenn Ihnen der Text zu lang und/oder zu schwer ist, fangen Sie mit dem Anfang von Abschnitt 5 an: S. 147 Mitte bis S. 148 Mitte (bis "kraft der Objektivität ihre eigenen Formgesetzes in der Zeit") und versuchen Sie dann ggf., sich nach vorne und hinten weiter durchzuarbeiten.
Posten Sie eine Stellungnahme: Wie ist Ihre Meinung zur dem angesprochenen Thema der historischen Aufführungspraxis?

Zu richtigen Einordnung von Adornos Text bedenken Sie bitte, dass er 1951 erstmals publiziert wurde.

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Beitrag von Kai Brandebusemeyer Do Jan 14, 2016 6:30 am

Meine Position zum Thema der historischen Aufführungspraxis ist denkbar simpel. Eigentlich hat sie für mich aufgrund der recht unklaren Quellenlage zur Aufführungspraxis unter Bachs Aufsicht vorrangig ein ästhetisches Recht auf Existenz - und zwar genauso wie monumentale, "romantisierte" Aufführungen auf modernen Instrumenten mit nicht zeitgemäßen Spieltechniken (z.B. Vibrati, Strich, etc.).

Ja, in der Tat, Bach (wie wir mit hinreichender Wahrscheinlichkeit heutzutage wissen) hatte für die Aufführung seiner Musik einen solistisch besetzten Knabenchor zu seiner Verfügung. Ja, er hat wahrscheinlich ein Clavichord anstelle von den zu seiner Zeit technisch noch recht unausgereiften Hammerflügeln gespielt. Ja, der Klang eines damaligen Instrumental-Ensembles ist mit einem mit modernen Instrumenten ausgestattetem Orchester nicht wirklich vergleichbar.

Aber Adornos Beitrag entstammt einer Zeit, in der die historische Aufführungspraxis ganz sicher noch weder die Regel bei Aufführungen war, noch auf das Wissen über alte Instrumentaltechniken zurückgreifen konnte wie das heute der Fall ist.
Wie im Seminar bereits angeschnitten wurde, ist letzteres Feld selbst heute vor allen Dingen im Bereich Gesang noch keineswegs ein abgeschlossenes (bzw. überhaupt ausreichend angeschnittenes) Thema. Des Weiteren hat sich die historische Aufführungspraxis spätestens seit den 1980er Jahren stark professionalisiert, institutionalisiert und kommerzialisiert - nämlich eigentlich vollkommen, womit auch ganz sicher nicht die Institutionen gemeint sind, auf die Adorno mit "bettelnden Schulchören" anspielt, sondern ernst zu nehmende künstlerische Hochschulen, professionelle Ensembles und manchmal auch profitorientierte Plattenlabels. Wobei Adorno mit letzteren sicherlich auch ein Problem gehabt hätte.

Die historisch informierte Aufführungspraxis ist ganz sicher kein frommer, künstlerisch einfallsloser und biederer Frondienst mehr - wenn sie das überhaupt jemals war.

So kann die eine oder andere "hip" zwar ihren historischen Anforderungen bzw. Ansprüchen nicht gerecht werden, sofern das überhaupt jemals gehen sollte, alleine aus Gründen um unser Nichtwissen was viele Aspekte betrifft. Böse Zungen behaupten auch sicherlich, dass eine Aufführung der Bachschen Matthäuspassion erst historisch korrekt sei, wenn auch die letzte Sängerin im Chor durch einen Knaben ersetzt würde.

Ich halte aber den schlanken, pro-polyphonen Klang eines kleinen, guten und transparenten Ensembles für durchaus in der Lage, eine ästhetisch schöne und affektvolle Aufführung zu verantworten.

Kai Brandebusemeyer

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Beitrag von mariyaz Do Jan 14, 2016 6:41 pm

Die Überschrift „Bach gegen seine Liebhaber verteidigt“, legt schon fest worum es in der Schrift geht: Adorno kritisiert, dass die historische Aufführungspraxis (seiner Zeit! 1951) nicht dem Bach’schen Bild gerecht wird welches er selbst statuiert. Deshalb kann er nicht nachvollziehen, dass eben diese Aufführungspraxis etliche Liebhaber scheint gefunden zu haben.

Er schreibt die historische Aufführungspraxis sei „[...] arm, schmal, eben des spezifischen musikalischen Inhalts enteignet [...]“(S.139), den heutigen Liebhabern käme es nur darauf an, dass [...] nur ja keine unauthentische Dynamik, keine Modifizierungen der Tempi, keine zu großen Chöre und Orchester geduldet würden [...]“ (S.147)
Er führt weiter aus, dass die historischen Aufführungen nicht „[...] der Substanz seiner Musik an sich gerecht werden. [...]“ (S.148) Und die Menschen aufhören sollen „[...] den damals gebräuchlichen Klang sklavisch zu imitieren [...]“ (S.148)

Denn die „[...]koloristische Dimension der Musik in Bachs Ära [...]“(S.149) wurde nicht vollkommen ausgeschöpft. Die„ [...] in seinem Werke verschlossenen Dynamik gebührt einzig eine Interpretation, welche sie realisiert.“ (S.149) Die Stücke seien also handwerklich beschränkt.

Adornos Meinung nach seinen eben die Interpretationen Webern und Schönbergs das Ideal.

Wenn es nach mir geht, würde ich keinen so strengen Blick auf die historische Aufführungspraxis werfen. Wenn es den Menschen gefallen hat, sich damit zu beschäftigen und die Musik so zu komponieren und aufzuführen, so sei es. Nur weil Adorno sich vermutlich die Ohren zuhalten musste, kann man nicht sagen das alles schlecht war, was damals fabriziert wurde, die Musik und ihre Interpretation ist bekanntermaßen subjektiv.

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Beitrag von Achim Pollmann Do Jan 14, 2016 9:06 pm

In der Tat ist der o.g. Blick Adornos auf die Aufführungspraxis auf den ersten Blick schon etwas befremdlich. Ich will hier nicht Adorno gegen seine Abneiger verteidigen, aber grundsätzlich ist sein Standpunkt meiner Ansicht nach richtig, wenn auch reichlich abstrakt: Er postuliert die Realisierung, "die dem Wesen ihrer Sache angemessen sich zeigt" (S. 148) und "die Interpretation, die sich um den musikalischen Sinn [...] kümmert" (S. 150). Sie sieht er im Gegensatz zu der "historisch ersten Wiedergabe" (Ebd.), die in erster Linie der Mangel prägte und die für unsere Ohren vielleicht ernüchternd klänge und die Adorno als Ziel der Aufführungspraxis ablehnt. Das "Wesen der Bachischen Musik" (S. 149) und die "Treue zum Text" (Ebd.) scheinen ihm relevant. Doch auch die Grenzen der historischen Aufführungspraxis lässt Adorno nicht unerwähnt, denn die "'Vorstellung' von den eigenen Werken ist ohnehin nie rekonstruierbar" (S. 148). Sein Hinweis auf Forkels Bericht über das Klavichord als Bachs Lieblingsinstrument ist in diesem Kontext allerdings wenig hilfreich.
In die 1950er Jahre fällt die Diskussion um die zu erreichende Authentizität des Aufführungsstandards. Nachdem Ph. Spitta, Fr. Chrysander u.a. diese durchaus für erreichbar hielten, setzt sich nun die Erkenntnis durch, dass authentische Aufführungen eine Illusion bleiben werden (Vgl. Artikel Aufführungspraxis. in: MGG II, Sachteil, Bd. 1. Kassel 1994, Sp.955f.).
Ich persönlich neige auch eher wie Kai zu einem transparenten Klang, der sich an dem orientieren sollte, was Bach unter optimalsten Bedingungen gerne realisiert hätte.... Dass er mit den Widrigkeiten in Leipzig nicht zufrieden war, hat ja seine Eingabe an den Rat der Stadt Leipzig vom 23.8.1730 belegt (Bach Dokumente, Bd. I, Kassel 1963, S. 60 ff.). Warum sollte man also die Aufführungsbedingungen von 1730 für eine Wiedergabe anstreben?

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Beitrag von Jaqueline Lang Fr Jan 15, 2016 3:54 pm

Ich bin der Auffassung, dass wenn man von einer historischen Aufführungspraxis spricht, damit den Versuch meint, die Musik, mit all ihren vorherrschenden Gegebenheiten, wie das Instrumentarium, die Spieltechniken und Gestaltungsmittel, detailgetreu wiederzugeben.

Möchte man also die Aufführungsbedingungen von 1730 anstreben, dann würde ich von einer historischen Aufführungspraxis sprechen und zwar in den Gegebenheiten, wie sie auch für Bach zur Verfügung standen, wenn auch nicht zu optimalsten Bedingungen.
Möchte man die Aufführung nach den heutigen Gegebenheiten und Möglichkeiten durchführen, so kann man von einem Versuch sprechen, Bachs damaligen Klangwunsch zu realisieren, aber nicht von einer historischen Aufführungspraxis. Denn die Bedingungen werden verändert und optimiert und gleichzeitig geschieht dies subjektiv.

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Beitrag von AlexandraJu Fr Jan 15, 2016 6:41 pm

Ich finde Adornos Kritik “Bach gegen seine Liebhaber verteidigen” äußerst interessant und lesenswert. Besonders spannend ist daran, dass es wirklich viele Vertreter und Verehrer Bachs gibt und gab, die aufeinander aufbauen und alle eine Seite der historischen Aufführungspraxis folgen.
Ich will damit nicht unbedingt sagen, dass ich Adorno recht gebe, aber seine Schrift regt zum weiteren reflektieren an und belebt damit die ganze Bach-Forschung. Sicherlich hab sich einige Stimmen nach dem Erscheinen dieser Schrift empört. Sicherlich gab es einige, die ihm direkt widersprochen haben. Es wird jedoch auch welche gegeben haben, die sich diese Position genauer angenommen und hinterfragt haben.
Adornos Kritik fällt eigentlich viel allgemeiner aus. Er kritisiert, dass Hineinprojizieren von historischen Klängen in die Gegenwart, sowie er kritisiert, dass das damalige (vielleicht auch noch jetzige) Bach-Bild nur eine Projektion sei. „Sie haben aus ihm einen Orgelfestspielkomponisten für wohlerhaltene Barockstädte gemacht, ein Stück Ideologie“ (S.139)
Für mich bedeutet eine historische Aufführungspraxis auch die Berücksichtigung von historischen Gegebenheiten und Beschaffenheiten, die sich dem Kontext der Zeit so weit es geht nähern. Und genau dieses ist Adorno zu ungenau. Er findet, dass gerade dieses die Hörer jener anderen Zeit nicht erwarten und wünschen. „Das fällt aber nicht, […] mit der Idee der historisch ersten Wiedergabe zusammen.“ (S.148) Sodass die Vorstellungen, die wir von jener Zeit (sei es Romanik, Klassik usw.) haben, sich eigentlich erst hinterher durch Forschung, Reflexion und außerkontextliche Betrachtung entwickelt und so nur schwer nachzuahmen ist, denn das „Bewußtsein der Künstler von sich selbst – ihre >Vorstellung< von den eigenen Werken ist ohnehin nie rekonstruierbar [...]“ (S.148).

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Beitrag von AmelieH Sa Jan 16, 2016 11:36 am

Der Dirigent Christian Thielemann sagte einmal: „Historische Aufführungspraxis heißt für mich immer: Mit damaligen Augen lesen und mit heutigen Ohren hören. Verstehen, was geschrieben steht, es in Relation setzen zu den vorhandenen Möglichkeiten - und die Wirkung auf heutige Umstände übertragen“. Ich finde diese Aussage wunderbar. Denn es geht darum, Musik zu machen, Musik aufzuführen, und zwar so schön wie möglich. Und nicht so "korrekt" wie möglich. Denn es kann noch so viel geforscht werden - manche Felder der Musikwissenschaft werden wir nie ganz erschließen können und wir werden nie vollständig wissen, wie es zu Bachs Zeiten gewesen sein muss. Und das ist auch gut so. Denn könnten wir das, würde die Musik doch einen Teil ihres Reizes verlieren.
Es ist wichtig, zu wissen, was es zu wissen gibt und dieses Wissen auch anzuwenden. Jedoch nicht zum Nachteil der Musik. Und schon gleich gar nicht auf Kosten des Klangs, was bei heutigen historisch informierten Aufführungen leider immer wieder zu hören ist. Wir leben nun einmal in einer anderen Zeit, in einer komplett anderen Gesellschaft und wir haben andere Möglichkeiten als Bach damals.
Grundsätzlich steht für mich an erster Stelle immer das Ergebnis und die Klangschönheit einer Aufführung und nie die Frage, ob die Artikulation an dieser und jener Stelle nun so von Bach gewollt war oder nicht. Das kann man sich zwar alles gut über- und zurechtlegen. Solange aus diesen Überlegungen aber keine Musik entsteht, ist die Aussage "Das hat man zu Bachs Zeiten aber so gemacht" auch kein Argument mehr! Und damit hat eine romantisierte - solange sie in sich stimmig und klangschön ist - genauso eine Berechtigung wie eine - gute! - historisch informierte Aufnahme oder Aufführung.

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Beitrag von Johannes_E Sa Jan 16, 2016 4:21 pm

Auf die Gefahr hin, abgedroschen zu klingen: In der Kunst muss alles erlaubt sein. Das beinhaltet auch, dass eine historisch möglichst genaue und "authentische" Aufführung möglich sein muss. Was sie nicht darf, ist allerdings, die musikalische Wahrheit und Aussagekraft für sich zu beanspruchen, "Ideologie" sein (S. 139, Abschnitt Eins, letzter Satz). Das ist auch, soweit ich Adorno verstehe, einer seiner Hauptkritikpunkte an der damaligen Aufführungspraxis im Kreise der von ihm geschmähten "Liebhaber". Die Intentionen Bachs, seine Klangvorstellung, ob er mit seinen damaligen Mitteln zufrieden war etc. wird man nicht feststellen können, warum sich daran aufhalten? Ein jeder Interpret muss sich seine Intention selbst bewusst machen und aufgrund dieser seine Interpretation gestalten. Nur J. S. Bach selbst darf dafür nicht missbraucht werden.
Sich als "Diener eines Werkes" zu betiteln, finde ich anmaßend.
Insofern begrüße ich die historische Aufführungspraxis als Mittel und Richtlinie für eine bestimmte Klangästhetik, nicht allerdings als "Bewegung", dem "wahren Bach" näher zu kommen. Am Ende muss alles erlaubt sein, von "Switched On Bach" bis zur Aufführung mit "Darmsaiten und im halben Tempo".
Gefallen muss es freilich nicht jedem, existieren muss es trotzdem.

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Beitrag von Sarah Romberger Sa Jan 16, 2016 5:17 pm

Meiner Meinung nach sollte jeder so musizieren, wie es ihm gefällt (und hoffen, dass er Gleichgesinnte findet). Es gibt keinerlei Beweise, wie die damalige Musik geklungen hat, also bleibt jeder Versuch sich dem anzunähern ein Versuch und man weiß nie, ob man am Ziel angelangt ist.
Ich persönlich finde z.B. die Verwendung von alten Instrumenten sehr schön und interessant, aber auch eine Aufführung der Matthäuspassion mit modernem Orchester, großem Chor und im Konzertsaal kann sehr ergreifend sein. Mir ist die musikalische Interpretation letztendlich wichtiger, als "richtige" Phrasierungen oder Chorbesetzungen.
Ich halte es daher für sinnvoll zu forschen, wie die damaligen Gegebenheiten waren, und dieses auch der Öffentlichkeit mitzuteilen, aber niemand darf von sich behaupten, er mache es "richtig" und alle anderen "falsch".

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Beitrag von Juri. Sa Jan 16, 2016 8:05 pm

Ich stimme Adornos Kritik zu, dass es viele Menschen gibt, die zwanghaft versuchen die historischen Bedingungen zu rekonstruieren und dabei übersehen, dass selbst zu Bachs Zeit z.B. die Wahl der Instrumente, u.a. der Tasteninstrumente, nicht solch eine hohe Bedeutung hatte (vgl. S.147-148). Ich stimme Adorno auch in dem zu, dass das Werk sich nicht nur in der Instrumentation, sondern auch in seiner kompositorischen Struktur entfaltet und auch der Komponist seine klanglichen Vorstellungen nicht ganz musikalisch umsetzen kann: "Kein Hinweis auf den klanglich-statischen Charakter von Cembalo und Orgel vermag über die rein in der Kompositionsstruktur selbst gelegene Dynamik zu betrügen, gleichgültig ob sie auf en Instrumenten als Crescendo zu verwirklichen war, ja ob, wie die müßige Frage lautet, Bach auch nur ein solches Crescendo sich ,vorstellte'" (S.145). Hinzu kommt, das die Vorstellung des Komponisten sowieso nicht absolut wiedergegeben werden kann (vgl. S.147). Außerdem hat das Werk ihre Bedeutung in erster Linie in der Zeit oder dem Kontext entfaltet, in dem es geschrieben wurde: "Die authentischen Werke entfalten ihren Wahrheitsgehalt [...] kraft der Obejktivität ihres eigenen Formgesetzes in der Zeit." (S.148)

Also ist, auch aus meiner Sicht, eine historisch treue Wiedergabe des Werkes von Grund auf nicht möglich, und auch nicht notwendig. Anstatt nach einer exakten, historischen Wiedergabe zu streben, sollte nach dem Sinn, der Intention (und der Funktion (vgl. S.145)) der Musik gefragt und dies so weit wie möglich musikalisch umgesetzt werden: "Sachlich wäre einzig eine Darstellung von Musik, die dem Wesen ihrer Sache angemessen sich zeigt." (S.148)

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Beitrag von penners Sa Jan 16, 2016 8:19 pm

"Sie haben aus ihm einen Orgelfestspielkomponisten für wohlerhaltene Barockstädte gemacht, ein Stück Ideologie" (S.139). Diese Aussage Adornos trifft es meiner Meinung nach auf den Punkt, wenn man über historische Aufführungspraxis spricht. Bach "verwandelt sich in ein neutralisiertes Kulturgut, in dem trüb das ästhetische Gelingen mit einer an sich nicht mehr substantiellen Wahrheit sich vermischt"(S.139). Das "Soli deo Gloria" in Bachs Musik scheint immer mehr in den Hintergrund zu treten zugunsten einer stilgetreuen, kunstvollen Aufführungspraxis. Adorno hebt Bachs anachronistische Stellung hervor und kritisiert, dass man dieser heute nicht gerecht wird. Man macht sich Gedanken, wie die Musik Bachs optimalerweise aufzuführen sei mit allen ihren Kunstgriffen, vergisst jedoch die eigentliche Intention dieser Musik. Doch welches ist die Intention dieser Musik? Ist diese vielleicht nicht vorhanden und beschränkt sich auf das Notenbild, oder heißt es hier tatsächlich Soli deo Gloria? Warum ich darauf abziele, ist folgender Grund: Meiner Meinung nach ist es nicht so wichtig, wie man der Aufführungspraxis historisch gerecht werden kann, vielmehr sollte sich gefragt werden, wie man Bachs Musik heute einsetzen kann, um damit möglicherweise Bachs Absichten abzudecken, nämlich die Musik auch zur Ehre Gottes und natürlich auch zur eigenen Seelenfreude aufzuführen. Das Forschen in der Geschichte um die Feststellung der historischen Aufführungspraxis finde ich interessant sowie jegliches Forschen in allen Bereichen, doch Bachs Musik sollte, um es mit den Worten Adornos auszudrücken, nicht zum neutralisierten Kulturgut degradieren, sondern lebendig weiterwirken, indem je nach Möglichkeit und Geschmack mit unterschiedlichen Musikerkonstellationen Bach musiziert wird.

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Beitrag von Shino Sa Jan 16, 2016 9:11 pm

Ich stimme zu diesem Satz von Adorno -ihre>>Vorstellung<< von den eigenen Werken ist ohnehin nie rekonstruierbar(S.148) Original Klang Matthäuspassion heißt für mich auch das, was bei der Komposition im Kopf Bachs geklungen hat. Nicht wie damals gespielt wurde.
"...den damals gebräuchlichen Klang sklavisch zu imitieren"(S.148) finde ich aber gar nicht schlecht. Das ist ein anderes Thema. Ich interessiere mich auch, wie damals Matthäuspassion den Ohren Zuhörers geklungen hat, oder, wie hat es mit damaligen instrumenten geklungen hat. Möglicherweise hört man ein positiv überraschenden Ausdruck, den wir vielleicht nicht kennenlernen konnten, wenn wir nur mit modernen Instrumenten gehört hätten. Das ist nur eine Haltung von mehreren, soweit die Leute nicht denken, dass ihre Art und Weise "richtig" ist und zu große Bedeutung dabei legt. Es gibt sehr viele Faktoren, damit man das Werk möglichst "richtig" zu spielen versuchen kann. Bei dem Aufführung alle von diesen Faktoren zu gelingen scheint für mich allerdings fast unmöglich zu sein. Außerdem weiss ich noch nicht alles, worauf man überhaupt achten soll, wenn man original aufführen möchte.

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Beitrag von Carolin Franke Sa Jan 16, 2016 9:55 pm

Ich persönlich finde es interessant, Stücke immer neu zu interpretieren oder neu zu entdecken. Dabei finde ich es zunächst nicht wichtig, aus welcher Epoche das Stück stammt. Erst einmal erarbeite ich es so, wie es sich für mich logisch und angenehm anfühlt. Allerdings lege ich bei der späteren Arbeit daran meinen Fokus auch auf "typische" Vortragsweisen damaliger Zeit, wie zum Beispiel weniger bis kein Vibrato oder das Herausarbeiten konzertanter Phrasen. Letztendlich jedoch lege ich mehr Wert darauf, dass ich mit dem klanglichen Ergebnis zufrieden bin als auf die korrekte Ausführung solcher Details.
Auf die historische Aufführungspraxis bezogen finde ich es daher sehr gut, verschiedene Möglichkeiten auszuprobieren und dem Publikum zu präsentieren, zu sagen: So könnte es gewesen sein, so könnte sich Bach sein Werk vorgestellt haben... Ich finde es allerdings fatal, sich auf eine genaue Ausführung zu versteifen. Letztendlich sind es doch nur Vermutungen, die uns dazu veranlassen, alte Musik anders als gewohnt aufzuführen.

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Beitrag von Regina Fischer Sa Jan 16, 2016 10:37 pm

Ich finde, dass Adorno Recht hat, wenn er ein ideologisiertes Bachbild kritisiert. Meiner Meinung nach sollte man bei der musikalischen Interpretation zwar den Komponisten respektieren, ihn aber nicht zum alles entscheidenden Leitbild machen. Ich stimme daher den bereits angeführten Meinungen zu und denke, dass letztlich die persönliche Interpretation nicht unberücksichtigt bleiben darf. Die historische Aufführungspraxis ist für mich ein interessanter und durchaus sinnvoller Ansatz, aber man sollte nicht aus dem Auge verlieren, dass man nie genau denselben Klang erzeugen wird, wie Bach damals.
Wie bereits gesagt wurde, gibt es nicht nur eine richtige Version und ich finde, dass man die Vielfalt der Interpretationsansätze nutzen sollte. Dies geschieht ja ohnehin, da die Aufnahmen, die wir hören - bewusst oder unbewusst - unsere eigene Vorstellung eines Werkes beeinflussen.

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Beitrag von sophietaphorn Sa Jan 16, 2016 11:01 pm

Zum Musizieren gehört auch immer eine gewisse Interpretation und Auslegung. Natürlich sollte man bestenfalls die Intention des Komponisten, in diesem Fall Bachs, berücksichtigen (obgleich völlige Neuinterpretationen durchaus sehr interessant sein können). Allerdings kann heute doch niemand wissen, wie genau Musikstücke vor Beginn der Aufzeichnungsmöglichkeiten geklungen haben.
Gegen den Versuch, die Matthäuspassion unter historischen Bedingungen aufzuführen, ist nichts einzuwenden; ob es so besser/authentischer klingt, sei einmal dahin gestellt. Eine Anmaßung, was "richtige" oder "falsche" Musik sei, halte ich für schwachsinnig.

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Beitrag von Tae Wan Kim So Jan 17, 2016 12:16 am

In heutiger Zeit weiß man nicht, wie sie in der Bachs Zeit gespielt haben, wie die Stücke mit den historischen Instrumente geklungen haben, welches relatives Tempo genommen haben.
Obwohl jemand das Stück von Bach romantisch gespielt und interpretiert hat, denke ich, soll man nicht 'falsch' sagen. Weil der in seiner Zeit mit eigenen Instrumente das Stück wieder oder neu interpretiert hat.
Wenn Bach in heutiger Zeit gelebt hätte, weiß man nicht, wie er es spielen wollte.
Aber meiner Meinung nach soll man es denken, dass die Strömung der heutigen Tagen für historische Aufführungspraxis sehr wichtig und eine gute Entwichlung ist. Weil viele Musikern verschiedene Möglichkeiten gedacht und gefunden haben und versucht haben, weil wir mit den historischen Instrumente oder Chöre das Gefühl der Barockzeit in dieser Zeit irgendwie fühlen können.

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Beitrag von Charlene Jakob So Jan 17, 2016 3:51 pm

Ich finde es sehr schwierig die einzelnen Gedanken Adornos zu Bachs Musik und der Aufführungspraxis seiner Zeit auf einen Punkt zu bringen. Wobei es so etwas wie "Bemühen nach einem >>historischen<< Klang ist nicht verkehrt, darf aber nicht zum Nachteil der >>eigentlichen<< Musik werden" vielleicht treffen würde.

Eine Frage drängte sich mir bei diesem aber Thema sehr schnell auf: Warum möchten wir eigentlich eine historische oder historisch informierte Aufführungspraxis erreichen?
Ganz rudimentär kann ich sie nur aus meiner (heutigen!) Perspektive beantworten:
Zum Einen wohl aus Neugier. Wie klangen diese Werke damals? Was unterscheidet uns von/verbindet uns mit "denen damals"?
Zum Anderen scheint mir der Begriff "historische/historisch informierte Aufführungspraxis" heute zu einem Wert- und Qualitätskriterium erhoben.

Ein weiterer Gedanke war, dass wir uns mit der Frage nach der historisch informierten Aufführungspraxis auch in dem vielleicht nie endenden Werk-Diskurs befinden. Was ist ein/das Werk? Wie ist es "gemeint"? Wie hat es zu erklingen?

Adornos Kritik an der "historischen Aufführungspraxis" seiner Zeit, kann ich gut nachvollziehen, da er ein Paradoxon an den Pranger stellt, in dem jene Verfechter, vielleicht in gutem Glauben daran, versuchen die "originale Musik Bachs" zu bewahren, aber dies mit Mitteln unternehmen, durch die sie das eigentliche Ziel wiederum zerstören.

Einen der letzten Sätze Adornos, in dem uns vorliegenden Textteil, finde ich sehr interessant:
"Vielleicht ist der überlieferte Bach in der Tat uninterpretierbar geworden." (S. 151)
Ist also alle Diskussion darüber, wie man Bach nun aufzuführen hätte unnütz oder überflüssig (geworden)?

Uninterpretierbar ist doch dann aber schließlich wieder ein Wertprädikat, dass es den Musikern abschreibt Bachs Musik "richtig" zu interpretieren. Wie aber auch schon Kommilitone/-innen vor mir schrieben, wissen wir nicht, was richtig oder falsch in diesem Zusammenhang ist, da, nun auch wieder mit Adornos Worten, "ihre [die der Komponisten] >>Vorstellung<< von den eigenen Werken […] ohnehin nie rekonstruierbar [ist]" (S.148).

Letztlich scheint mir ein Bemühen nach einem historisch informierten Klang eines Werkes nicht verkehrt. Doch sollte man sich davor hüten, diese INTERPRETATION als unumstößlich zu werten.

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Beitrag von Tetsuro Kanai Mo Jan 18, 2016 3:05 am

Adorno schrieb ">>Vorstellung<< von den eigenen Werken ist ohne hin nie rekonstuierbar". Das stimmt, aber ich stimme nicht ganz zu. Die Vorstellung haben die damalige Künstler immer mit dem damaligen Klang und Spielweise. Die damalige Künstler konnte nicht heutige Instrumentenklang vorstellen. Wenn Bach heutige entwickelte Instrumenten kannte, bestimmt konnte er noch mehrere andere schöne Sachen bringen, aber seine Werke sind in 1600er Jahre schon geschrieben. Was wir mit heutigen Instrumenten spielen ist nicht was Bach erwartet hat. Instrument selbst kann viel schöner als Bachs Erwartung sein, aber aber das ist nicht damit er vorgestellt hat.

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Beitrag von lennarthoyer Mo Jan 18, 2016 2:50 pm

Die Frage nach der historischen Aufführungspraxis steht für mich in direktem Zusammmenhang mit der Frage nach der Werktreue von Aufführungen. Wer für sich beansprucht eine Beethoven Sonate auf einem Hammerklavier aufzuführen, sich dann aber überlegt, die Wiederholung der Exposition aus ästhethischen Gründen zu überspringen, steht direkt vor der Frage, wie weit man sich vom Notentext entfernen darf.
Aus meiner Sicht ist dies die schwierigste Frage für Musiker überhaupt. Denn die Beantwortung dieser Frage führt dazu, dass man es vielen Leuten nicht rechtmachen kann. An erster Stelle steht wohl der Komponist, der seine Klangvorstellung in Form des Notentextes versucht hat schriftlich festzuhalten. Bereits bei dieser Transformation gehen soviele Informationen verloren, dass man wohl nie die Klangvorstellung eines toten Komponisten erreichen kann. Sollte man nun aber eine Aufnahme des betreffenden Werkes unter der Leitung des Komponisten selber vorliegen haben, werden die Probleme nicht geringer. Schließlich kann eine Aufnahme (unabhängig von Tonqualität und nicht nachvollziehbaren Eingreifens des Tontechnikers nach Abschluss der Aufnahme) nie ein zweites Mal gleich erklingen. Zugegebenermaßen bietet eine Aufnahme unter der Leitung des Komponisten schon ein sehr genaues Bild über die Art und Weise der Ausführung seines Werkes.
Doch was tut der Musiker, wenn ihm die Aufnahme unter der Leitung des Komponisten nicht gefällt? Verleugnet er sich selbst? Verwirft er das Stück? Ich plädiere für eine Trennung von Werk und Komponist in solchen Fällen. Wenn das Werk aufgeführt werden soll, kann dies in den meisten Fällen nicht durch den Komponisten geschehen. Es verlässt damit den Einflussbereich des Komponisten und ist im positiven wie im negativen dem ausführenden Musiker ausgeliefert. Er muss entscheiden, wie das Stück klingen soll, ob er nur sich selbst, dem Komponisten oder dem Publikum gerecht werden will.
Historische Aufführungspraxis hat aus meiner Sicht deshalb nur eine Berechtigung, wenn Sie nicht um ihrer selbst Willen geschieht, sondern einen musikalischen Mehrwert besitzt. Ob ein Mehrwert vorhanden ist, muss jeder Musiker für sich selbst entscheiden.

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Beitrag von SimonjH Mo Jan 18, 2016 3:04 pm

historische Aufführungspraxis war schon immer eine große Streitfrage. Ich finde eine Aussage, die Jon Laukvik in seiner Orgelschule äußerte sehr treffend: Historische Aufführungspraxis an sich gibt es nicht, da wir nicht wissen wie genau es damals von statten ging. Man hätte damals ein anderes Gehör für Klänge und hat demnach anders musiziert. Ich finde, da es um die Musik geht und um das Musik machen: man sollte sich mit dem Geist der Zeit, soweit er bekannt ist, auseinandersetzen und daraus eine eigene Interpretation erschaffen die durchaus sehr nah an diesem liegen kann, aber auch weit entfernt.

SimonjH

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Beitrag von Max Gundermann Mo Jan 18, 2016 7:32 pm

Meiner Ansicht nach wird die Diskussion über ein Für und Wider der historischen Auffürungspraxis zu sehr emotional bis polemisch geführt und zudem auch häufig entlang einer Achse, die nur Schwarz un Weiss, Null und Eins kennt. Da Musik-Hören wie Aufführen eine sehr persönliche und emotionale Angelegenheit ist, scheint es vielen Menschen schwer zu fallen, eine anders-artige Aufführung oder nur Auffassung ihres Lieblingsstückes, entgegen der eigenen Vorstellung von Ästhetik gelten zu lassen.
Natürlich ist eine sklavische Unterwerfung gegenüber dem was man als historische, aufführungspraktische Tatsachen annimmt eine Extremhaltung die die Rolle des Interpretens ad absurdum führt. Es ist ja auch nicht so, als wenn es ein allgemeingültiges, unwiederlegbares Gesetzbuch der historisch "richtigen" Aufführungsweise gäbe - im Gegenteil : Verschiedene Ensembles, Interpreten, Dirigenten, Musikwissenschaftler gelangen zu verschiedenen Erkenntnissen und erwirken verschiedene klanglich-ästhetische Umsetzungen. Die sogenannte Alte Musik Szene ist sicher nicht so homogen, wie manch eine Klischeehafte Darstellung dies naheliegt, sie ist viel mehr dynamisch und ständig im Wandel. In 50 Jahren wird man sicher wieder ganz anders denken und fühlen, und manche Überzeugungen von heute belächeln oder kritisieren. Aber ist das schlimm? Ich denke nicht. Ich finde es zählt allein schon, dass man sich auf die Suche nach Wahrheit und Authentizität macht, auch wenn die hervorgebrachten Erkenntnisse Illusionen sind, und man manch einen Irrweg oder eine Sackgasse betreten hat. Dass man versucht, sich in andere Epoche zu begeben, sich in eine vergangene Zeit hinein zu denken; das ist es, was zählt, das macht zugleich die Herausforderung und Verantwortung einer Interpretation so reizvoll.
Letztendlich ist ja ein jeder, also auch der jenige, der die Position vertritt, die historische Aufführungspraxis sei aus dem Grunde fragwürdig, dass die Annahmen über damalige Gegebenheiten nur Mutmaßungen sein und dass letztendlich der Wille und Geschmack des Interpretens entscheidend sei, ein Kind seiner Zeit, seines Zeitgeschmacks und damit auch nicht so frei und unbefangen über den Dingen schwebend.

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Beitrag von Kevin Hemkemeier So Feb 07, 2016 5:49 pm

Im Abschnitt 5 seines Textes, Bach gegen seine Liebhaber verteidigt, weist Adorno zunächst daraufhin, dass Bach und die in seine Epoche fallenden Komponisten exakte, z.B. in der Romantik sehr detailierte, Spielanweisungen weglassen und auch Instrumentationsfragen, insbesondere bei Musik für Tasteninstrumente, vernachlässigen.
Dies fällt in das damalige Kompositionsbrauchtum und ist laut Adorno für uns der Richtungsweis ebendiese Freiheiten auszunutzen.
Ich stimme hier mit ihm überein.
Historischinformierte Aufführungspraxis würde erhebliches Potential verschenken wenn man nur nach auferlegten und wissenschaftlich recherchierten Standards musizierte.

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Beitrag von cedrictrappmann So Feb 07, 2016 9:32 pm

Das, was Adorno als Historische Aufführungspraxis kannte, als er „Bach gegen seine Liebhaber verteidigt“ schrieb, kann kaum mit dem verglichen werden, was heutzutage als solche bezeichnet wird. Dennoch ist das grundsätzliche Spannungsfeld dasselbe geblieben.
Es ist ausgelöst durch das Verhältnis von Kunst zu ihrer Zeit. Jedes Kunstwerk entsteht im Kontext seiner Umwelt, der zeitgenössischen Gegebenheiten, die dazu beitragen, das es so entsteht, wie es entsteht. Insofern ist die Aufführung von Musik, die vor mehr als 200 Jahren entstand grundsätzlich problematisch. Noch dazu, wenn ihre Wiederaufführung durch den Komponisten vielleicht überhaupt nicht vorgesehen war.
Da aber heutzutage die Aufführung von Musik vergangener Zeiten vielmehr Regel als Ausnahme ist, haben sich unterschiedliche Lösungsansätze herausgebildet, die von einer möglichst verständlichen Übertragung des Kunstwerkes in unsere Zeit bis zur möglichst detailgetreuen Wiedergabe des Werkes nach den Umständen seiner Zeit reichen. Das erstgenannte beschreibt Adorno in Orchestrierungen der Clavierwerke Bachs, das zweite ist das, was die so genannte Historische Aufführungspraxis zu erreichen versucht.
In der Kürze dieses Posts möchte ich keine Wertung vornehmen, sondern es bei der Beschreibung der aus meiner Sicht grundsätzlichen Problematik, die bei der Einordnung eines Textes wie Adornos „Bach gegen seine Liebhaber verteidigt“ bedacht werden sollte.

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Beitrag von Rachele Fiorini Mo Feb 08, 2016 12:55 am

Ich stimme -auf einer Seite- mit der von Adorno geäußerter Kritik gegen das übertrieben hohe Bild von dem Komponist im Gegensatz zum Vortragenden. Der Vortragende sollte sich nämlich natürlich nicht, wegen übermäßigem Respekt gegenüber das Werk annullieren, und seine eigene Interpretation zur Seite stellen zugunsten einer "pureren" Aufführung.
Ich finde aber anderseits die sogenannte "historisch informierte Aufführungen" viel interessanter (und persönlich auch viel schöner zuzuhören). Meiner Meinung nach, ist es auch wichtig und interessant als Vortragende, der Musikvorstellung des Komponisten nahe zu kommen zu versuchen. (Mit welchen Instrumenten hat sich Bach diesen und diesen Klang vorgestellt? Wie hat es im Konzert geklungen? Wo wurde es aufgeführt? Wie hat man diese und diese Sache gespielt?)

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Beitrag von Yuki Suzuki Di Feb 09, 2016 1:41 pm

Meiner Auffassung nach hat die heutige Aufführungspraxis nicht die Zielsetzung, detailgetreu den damaligen Klangzustand herzustellen. Es kann und sollte nicht im Sinne des Komponisten und seines Werkes sein, dogmatisch nach einem "Urzustand" einer Aufführung - mit all seinen Unzulänglichkeiten, die bis heute beseitigt werden konnten- zu suchen. In diesem Sinne beschreibt Adorno folgerichtig, dass eine Interpretation der "Substanz seiner Musik" gerecht werden muss. Ich denke auch, dass die Fokussierung auf "koloristische" Mittel wie z.B. Vibrato und Tongestaltung allzu sehr von den eigentlich wichtigen Parametern der Barock-Musik, wie etwa der Umgang mit der Harmonik, Rhythmik, der Artikulation und Gestaltung von Verzierungen ablenkt. Erfreulicherweise ist man daher in der heutigen "modernen" Aufführungspraxis dem eigentlichen Ziel der Musik deutlich nähergekommen.

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