Matthäuspassion - Detmold
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Aufgabe zum 08.02. – Blumenberg

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Beitrag von Grotjahn Do Feb 04, 2016 1:35 pm

Sorry, wieder zu spät gepostet … Die Aufgabe zur nächsten und letzten Sitzung lautet:
Bitte befassen Sie sich mit den Auszügen aus dem Essay von Hans Blumenberg; Matthäuspassion (zugänglich im Downloadbereich des Seminars). Wählen Sie eine oder mehrere Textstelle(n) aus, die zu diskutieren Ihnen lohnenswert erscheint. Posten Sie, welche Fragen oder Überlegungen Sie dazu haben.


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Beitrag von Jaqueline Lang Sa Feb 06, 2016 12:51 am

Blumenberg schreibt im 4. Absatz:
"Niemals hätte der Mensch durch einen Ungehorsam seinen Gott so erbittern können, daß dieser sich hätte entschließen dürfen oder gar müssen, nur durch Leiden und Sterben - wessen auch immer - sich versöhnen zu lassen. Es muß um mehr gegangen sein."
Dieses "Mehr" wird laut Blumenberg durch den "Ton" geschaffen.

Wenn ich diesen Punkt von Blumenberg richtig verstanden haben, so erscheint er mir nicht nachvollziehbar.
Es stellt sich mir die Frage, warum für  Blumenberg ein "mehr" erforderlich ist.
Die Passion beschreibt die Leidensgeschichte Jesu, seinen Tod am Kreuz und seine damit erwiesene Liebe und Vergebung für die Menschheit.  Das ist die Kernbotschaft der Passion. Jesus nahm als Gott und Schöpfer Knechtsgestalt an, entäußerte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tod,  ja bis zum Tode am Kreuz (nach Philipper 2,8 ).  Das war sein "Auftrag". Diesen Weg wählte Jesus um die Menschheit von der Sünde zu erretten und damit vor dem ewigen Tod. Und es war nichts geringeres, als das Jesus sich selbst dahingab, als reines und schuldloses Opfer. Dieser Heilsplan war für die Menschen unbedingt notwendig um wieder eine Brücke zwischen Gott und Menschen zu schaffen und alle die ihn annehmen, gehen nicht verloren, sondern erhalten das ewige Leben. Diese Botschaft ist so klar und deutlich ( in der Matthäuspassion), dass kein "Mehr" hinzugefügt werden muss.

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Beitrag von niklas.clarin Sa Feb 06, 2016 3:33 pm

Auf S. 14 unten heißt es: "(...)Nichts ist für den glaubensarmen Zeitgenossen an den Voraussetzungen der Matthäuspassion widerständiger und unzugänglicher als der Gott, der zu beleidigen ist: von seinem debilen Geschöpf und bis zur erbitterten Forderung nach einer ebenso unfäßlichen Sühne. Es ist unbestreitbar, daß diese Figur aus den Prämissen des Werkes - weniger noch als aus denen des Evangelisten - nicht exstirpiert werden kann (...)"
Auch an anderen Stellen des Buchausschnitts ist wiederholt von einer Beleidigung oder Verbitterung Gottes in der Matthäuspassion oder ähnlichem die Rede. Mir erschließt sich hier nicht ganz, warum Gott in der Matthäuspassion beleidigt würde. Die Darlegungen des Autors hierzu erscheinen mir zu indirekt und nicht hinreichend konkret, außerdem ist es auf jeden Fall eine große Anmaßung gegenüber Picander.

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Beitrag von Sarah Romberger Sa Feb 06, 2016 7:29 pm

"Das Mehr selbst tönt in der Passion. Es zu erfassen wir immer vergeblich sein; ihm eine Fassung zu geben, mag schon ein Äußerstes erfordern, an das nur Annäherungen zu versuchen sind" S.15, letzter Abschnitt.
Für mich beinhaltet dieses "Mehr" alles, was Bach zwischen den Zeilen geschrieben hat, was man im ersten Moment des Hörens gar nicht bewusst wahrnimmt, aber was im Unterbewusstsein hängen bleibt. Dieses "Mehr" ist für mich der Moment der Atemlosigkeit und Fassungslosigkeit, die mich immer wieder erfasst, wenn ich die Matthäuspassion höre.
Viele haben die Passionsgeschichte vertont, aber die Matthäuspassion von Bach ist die einzige wirklich spannende musikalische Erzählung.
Der Vergleich hinkt etwas, aber es ist wie ein guter Krimi, den man immer wieder lesen möchte und jedes man aufs Neue erstaunt ist, wie es ausgeht.
Man wird dieses Erstaunen also auch nie in Worte fassen können ("es zu erfassen wird immer vergeblich sein"), und kann nur versuchen, es durch eine "schöne" Aufführung dem Publikum erlebbar zu machen ("ihm eine Fassung zu geben, mag schon ein Äußerstes erfordern").

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Beitrag von Shino Sa Feb 06, 2016 10:06 pm

S.33 ab 3.Zeile
" Er muß zugestehen, daß der Gott des Johann Sebastian Bach, der Gott des Pauls, des Augustin und des Martin Luther im Übernaß beleidigt werden konnte....."

Es war mir bewußt, dass heutige "glaubensarme Zeitgenosse" schwer verstehen können, wie genau Gott für Bach und damalige Leute war. Aber ich hatte bis jetzt noch nicht Gedanke gemacht, wie unterschiedlich der Gott von Bach und der Gott für die noch vergangene Leute war, wie Augustin oder Luther. Es gibt verschiedene Möglichkeit, damit wir Stück für Stück Passion besser verstehen können. z. B. Evangelium oder Texte über Teologie zu lesen. Das kann aber nicht unbedingt ein direkter Weg sein, Bachs passion zu verstehen. Bach sthet auch in der Entfernung von Gott für die Leute, die z.B.damals gelebt haben, wo Matthäuspassion geschrieben wurde. Wenn ich eine bestimmte Text über Passion lesen würde, weiß ich nicht, ob ich dadurch Bachspassion nähern, oder nähere den anderen.

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Beitrag von Tae Wan Kim Sa Feb 06, 2016 11:31 pm

S. 38 letzte Zeilen
"Die Musik allein stiftet ein Identität, die im Text auch dann nicht dasein könnte, wenn der eine Evangelist mit aller Intensität des Scharfsinns auf sie geachtet hätte und nicht stattdessen so viel Heterogenes zueinander gekommen wäre.
Kurze Zeit bevor die einsetzende Bibelkritik das Ärgernis am Leidenden auf den Text von ihm übertrug, hatte Bach, als hätte er geahnt, was noch zu retten sei, eine andere Tragfähigkeit des Evangeliums gefunden."

Bach hatte eigene Erfahrung in seiner Zeit durch Bibel und Evangelium, und er beschrieb in der Musik. Wir haben auch eigene Erfahrung und Empfindung durch Evangelium in unserer Zeit.
Ich finde persönlich, es ist wichtig, dass wenn wir der Inhalt der Matthäus Passion von Bach verstehen möchten, müssen wir noch mehr versuchen, was in seiner Zeit passiert, welche persönliche Situation er hatte, welche religiöse Sache er begegnete.

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Beitrag von Kai Brandebusemeyer So Feb 07, 2016 12:21 am

"Es gibt die Widersprüche in dem Drama nicht mehr, das nur auf den Ebenen einer gottmenschlichen Existenz - was immer eine solche Doppelnatur sein mag - stattfindet und im Hinblick auf das nah Bevorstehende so unvereinbar sein muss: Leiden und Glorie, Tod und Wiederkunft zum Weltgericht. Was der Text, wie es scheint, nicht beeinander halten kann, homogenisiert die Musik, die keine Logik wider sich haben kann." (S. 46)

Ich stimme Blumenberg gerne zu, was die Musik an dramatischer Handlung oder Erzählung verbinden kann. Wo allerdings Blumenberg die religiösen Hintergründe der Matthäuspassion (aufgrund eigener Ansichten?) stark einer kritischen Prüfung, bzw. wissenschaftlichen Abstrahierung unterzieht, wird die Musik zum Mythos erklärt, zu einer diffusen Zauberkraft, die unerklärlich logische Widersprüche überwinden kann. Ich finde es zwar schön, dass Musik offensichtlich einen hohen und edlen Stellenwert in dieser Betrachtung hat, allerdings möchte ich gerne darauf hinweisen, dass Musik eine von Religion nicht so frappierend unterscheidbare soziokulturelle Rolle einnimmt.

Musik existiert schon fast so lange wie der Mensch und erfüllt eine kommunikative Funktion in einer sozialen Gruppe. Durch synchronen Rhythmus und Tanz, durch gemeinsam angestimmte Melodien und Liedtexte wird ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt und Angst, Sorgen etc. geteilt.
Nehmen wir als bekannteres Beispiel nur mal das französische Lied "L'Homme armé", dass den Schrecken und die Angst vor Tod und Leid zur Zeit des  Hundertjährigen Krieges ausdrückt und somit zu großer Popularität avancierte. Ebenso kommuniziert und kanalisiert Glaube im Allgemeinen dieselben Ängste für ein gesellschaftlliches Ziel und soll im Gemeinschaftsgefühl Hoffnung geben.

Wie man zur Musik oder Religion steht, ist dann am Ende aus meiner Perspektive eine individuelle Entscheidung, ob man das Angebot zu einer gewissen sozialen Zugehörigkeit und dem Gefühl in seiner Angst verstanden zu werden annimmt. Das ist nie eine Frage der intellektuellen, sondern der emotionalen "Logik". Musik und Glaube/Überzeugungen sind von essentieller Bedeutung für das Überleben der Moral der menschlichen Zivilisation.
Musik (und evtl. Tanz) allein, und keine andere Kunst in dem Maße.

Drückt nicht gerade leidvolle Musik eine versöhnliche "Glorie" aus? Dass der Mensch in seinem Leiden von anderen Empathie und dadurch Achtung erfährt? Ich frage mich, ob Musik nicht genau denselben Widerspruch in sich birgt wie viele Religionen, ob Musik nicht auch generell Ahnung und Hoffnung ausdrückt, dass da "noch mehr" ist, etwas, dass über unser menschliches Verständnis hinausgeht. Kunstvolle, "göttliche" Töne aus Menschenhand, um die Unvorstellbarkeit der Erfahrung des Jenseits jedenfalls ein Stück weit näher zu bringen.
Wenn Bachs Musik so überragend diese Funktion erfüllt, dann ist sie Verstärker und Medium der biblischen Botschaft, weil sie sich zu ihr kohärent verhält und nicht dazu da, dramaturgische oder logische Lücken zu füllen und "Schminke" auf die Botschaft der Religion aufzutragen.

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Beitrag von fabiankrämer So Feb 07, 2016 1:26 pm

Ich beziehe mich auf den letzten Absatz:
"Die Musik allein stiftet eine Identität, die in der Musik auch dann nicht Dasein könnte, wenn [...] nicht so viel Heterogenes zueinander gekommen wäre. [...] Bach [hat], als hätte er geahnt, was noch zu retten sei, eine andere Tragfähigkeit des Evangeliums gefunden."

Diese Schlussfolgerung empfinde ich als genau verkehrt herum: Der Passionsbericht in der Bibel vereint unzweifelhaft verschiedene, aber allesamt notwendige Aspekte des "Messias" Jesus: der gute Hirte, das Opferlamm, der Mensch, der Gott etc.
All das ist unabdingbar, damit der christliche Glaube funktioniert und sich auf den Heiland Jesus Christus berufen kann. Natürlich ist es dennoch falsch, das Evangelium als von Gott gegeben quasi "beim Wort zu nehmen". Mit Sicherheit haben Menschen - die noch nicht einmal Zeitzeugen des Geschehens waren - den Bericht nach ihren Absichten verfasst, mit allen Ungenauigkeiten und Schwerpunktsetzungen, die damit unvermeidbar einhergehen. Nur daraus aber zu folgern, dass das Resultat inkohärent - "heterogen" eben - sei, ist meiner Meinung nach nicht korrekt.
Umgekehrt verhält es sich bei der Vertonung durch Bach: Höchstwahrscheinlich nur von einem Menschen verfasst, ist sie doch von großer Verschiedenheit und Abwechslung - wenn man so will, ein heterogenes Werk. Picander und Bach haben ein zusammenhängendes Werk geschaffen, das nicht davor zurückschreckt, die Mannigfaltigkeit der Person Jesu Christi darzustellen. In diese übergeordnete Klammer der zusammenpassenden Musik sind alle auf den ersten Blick nicht zusammengehörigen Aspekte eingeschlossen.

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Beitrag von nicolaruh So Feb 07, 2016 4:47 pm

"Ob er einen Gott hat oder nicht, ist dabei sekundär gegenüber dem Begriff, mit dem er noch erfassen kann, was es bedeutete, einen zu haben. Denn das hieße: Niemals hätte der Mensch durch einen Ungehorsam seinen Gott so erbittern können, daß dieser sich hätte entschließen dürfen oder gar müssen, nur durch Leiden und Sterben - wessen auch immer - sich versöhnen zu lassen. Es muß um mehr gegangen sein."

An dieser Stelle spricht Blumenberg von einem möglichen Hörer der Passion. Mich hat die Stelle fasziniert und zum Nachdenken angeregt: Ist es im Falle der Matthäuspassion wirklich egal, ob man glaubt oder nicht bzw. "einen Gott hat oder nicht"? Kann man in beiden Fällen gleich viel mit der Passion anfangen (- die Bedeutung erahnen?), wenn man in der Lage ist, Empathie für gläubige Hörer und für das Glauben an sich zu empfinden?

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Beitrag von cedrictrappmann So Feb 07, 2016 8:59 pm

Blumenberg übt, vor allem im Abschnitt „Die Rettung des ,impliziten Hörers‘ vor der historischen Vernunft“ starke Kritik an der Inkonsequenz und mangelnden Schlüssigkeit sowohl der Passionserzählung des Evangelisten Matthäus als auch der Textkomposition Picanders und bescheinigt einzig der Musik Bachs die Fähigkeit, Identität zu stiften(1). Während er seine kritische Sicht des Textes durchaus nachvollziehbar darlegt, bleibt er einen Nachweis seiner These bezüglich der Musik Bachs schuldig. Der Leser, so ich alles richtig verstanden habe, muss den Eindruck gewinnen, allein Johann Sebastian Bach sei in der 2000-jährigen Geschichte des Christentums imstande gewesen, das Selbstopfer seines Gottes für sein Volk zu verstehen und zeitlos auszudrücken; das wiederum scheint mir ein fragwürdige These zu sein.

____________________
(1) Hans Blumenberg, Matthäuspassion, Frankfurt am Main 1988, S.47-48

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Beitrag von AlexandraJu So Feb 07, 2016 10:47 pm

Blumenberg kritisiert des Öfteren eigentlich die Veränderung oder, nicht mehr Zeitgenössische oder sogar nicht vorhandene Intelligenz des Höheres und dadurch den fehlenden historischen Kontext, das Wissen, welches damit verbunden wird und die Erfahrungen. Trotzdem ist er der Ansicht, dass ein Hörer jeder Zeit "ob er einen Gott hat oder nicht, ist dabei sekundär gegenüber dem Begriff, mit dem er noch erfassen kann, was es bedeutet, einen zu haben," (S.15) das "mehr" zwischen dem Ton und dem Text zu erkennen vermag.
Diese Aussage finde ich recht plausibel. Das wir immer in einem anderen Kontext leben, ist uns allen wohl bewusst. Das wir heute die Vergangenheit reflektieren, aber nicht ganz verstehen können, wohl auch. Und das jede Zeit seine Ansichten und Wissenschaftler hat, auch.
Seine Kritik an der Bibel und dem Autor verstehe ich jedoch nicht ganz. Die Exegese setzt sich doch damit auseinander. Was genau hat das nun mit dem Hörer der Matthäuspassion von Bach zu tun?! Das der Text der gemeinsame Nenner ist, wird deutlich. Aber wieso stellt er hier diesen in Frage?! Und wieso ist durch die Akustische Version der Passion an eine "Beleidigung Gottes" zu denken?!
Obwohl ich es gut finde, dass sich auch kritisch mit dem Text des Matthäuspassion auseinander gesetzt wird, finde ich (besonders da er zu Begin die Vermittlung durch Ton hervorhebt) die Kritik im Bezug auf die Matthäuspassion von Bach fehl am Platz.





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Beitrag von Charlene Jakob So Feb 07, 2016 11:43 pm

Beim Lesen der verschiedenen Textauszüge Blumenbergs Beitrag zur Matthäuspassion, sind mir verschiedene Textpassagen aufgefallen. Um für mich ein bisschen Ordnung im Kopf zu schaffen, habe ich die einzelnen Zitate unter von mir erfundene Überschriften gesetzt:

DAS "MEHR" IN DER WELT:
1)
"Ob er einen Gott hat oder nicht, ist dabei sekundär gegenüber dem Begriff, mit dem er noch fassen kann, was es bedeutete, einen zu haben. Denn das hieße: Niemals hätte der Mensch durch einen Ungehorsam seinen Gott so erbittern können, daß dieser sich hätte entschließen dürfen oder gar müssen, nur durch Leiden und Sterben - wessen auch immer - sich versöhnen zu lassen. Es muß um mehr gegangen sein."
--> Beide Sätze passen für mich nicht übereinander. Beide für sich genommen verstehe ich, aber im Zusammenhang nicht.
--> Worauf Blumenberg aber wohl schließlich hinaus will, ist das "Mehr".  

2)
"Das Mehr selbst tönt in der Passion."
--> Was ist dieses "Mehr"?
--> Kant "Das Ding an sich"
--> Verschiedene Zitate: http://www.musikzug-moehnsen.de/zitate.html
     - Musik sagt das Unsagbare (Friedrich Smetana)
     - Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich          
       ist. (Victor Hugo)
     - Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie (Ludwig van Beethoven)
     - Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an. (E. T. A. Hoffmann)
(Ob alle Zitate wirklich von den Personen stamme, die auf dieser Seite angegeben werden, habe ich in diesem Zusammenhang nicht überprüft)


DER GOTT DER BELEIDIGT WURDE:
3)
"Wer sich von der Matthäuspassion bewegen lassen bereit sein will, muß in eine Konzession einwilligen, ohne sie noch begreifen zu können: Er muß zugestehen, daß der Gott des Johann Sebastian Bachs, der Gott des Paulus, des Augustin und des Martin Luther im Übermaß beleidigt werden konnte."
--> Muss man wirklich in diese Konzession einstimmen, um sich bewegen lassen zu können?
--> Ist der Gott Bachs = der Paulus', Augustins und Martin Luthers?


MUSIK ALS DIE ALLEINIGE STIFTERIN EINES SINNES IM (MATTHÄUS)EVANGELIUM:
4)
"Die Passionsmusik Bachs läßt noch den späten Nachfahren der Jahrhunderte aufklärender Zerlegung der Evangelien die Unfügsamkeit der Überlieferung bei Matthäus gleichsam überhören."
--> Wenn der Nachfahre sich bloß wirklich die Mühe gemacht hätte, sich mit der Unfügsamkeit der Überlieferung bei Matthäus zu beschäftigen… Meint: Fällt einem beim bloßen Rezipieren der Musik diese "Unfügsamkeit" wirklich auf?  

5)
"Was der Text, wie es scheint, nicht beieinander halten kann, homogenisiert die Musik, die keine Logik wider sich haben kann."
--> Warum trennt Blumenberg immer wieder Text und Musik?
--> Welche Logik könnte denn theoretisch wider die Musik sein?

6)
"Die Musik allein stiftet eine Identität, die im Text auch dann nicht dasein könnte, wenn der eine Evangelist mit aller Intensität des Scharfsinns auf sie geachtet hätte und nicht stattdessen so viel Heterogenes zueinander gekommen wäre."
--> Musik stiftet Identität! Ist für mich nachvollziehbar. Kulturelle Zugehörigkeit etc.
--> Hatte das Evangelium den Zweck Identität zu stiften?


BACH WAR EIN "ÜBERMENSCH"
7)
"Kurze Zeit bevor die einsetzende Bibelkritik das Ärgernis am Leidenden auf den Text von ihm übertrug, hatte Bach, als hätte er geahnt, was noch zu retten sei, eine andere Tragfähigkeit des Evangeliums gefunden."
--> Mystifizierung Bachs und seines musikalischen Schaffens im Zusammenhang mit der Matthäuspassion und des Matthäusevangeliums.

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Beitrag von SimonjH Mo Feb 08, 2016 12:07 am

Beim Lesen des Textes fielen mir verschiedene Punkte auf:

1) Er legt seine Argumentation klar dar, allerdings bleibt unklar, was das mit Bachs Musik zu tun hat.

2)  Der Autor übt hier Kritik an der Zusammenstellung und der daraus resultierenden Schlüssigkeit der Passionserzählung, sei es durch Matthäus selbst oder eben Picander.

3) Er möchte Bach als "den" Komponisten schlechthin darstellen, da nur diesem es, nach Blumberg, möglich war, das Opfer(das Gott für sein Volk getan hat) unbestreitbar und vorallem zeitlos auszudrücken.

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Beitrag von Tetsuro Kanai Mo Feb 08, 2016 2:01 am

Ich habe den Text "Erleichterung - oder noch mehr?" gelesen.

Da steht "Er muß zugestehen, daß der Gott des Johann Sebastian Bach, der Gott des Paulus, des Augustin und des Martin Luther imÜbermaß beleidigt werden konnte."

Ich bin kein Christ wie die anderen meisten Japaner, aber seit lange ich mag und habe groß Interesse für die bachs Kirchenmusik und als Kenntnis über Christus gelernt. Ich habe niemals so gedacht, wenn ich als eine Musik Matthäuspassion toll finde, schadet das jemanden. Meiner Meinung mach, ob jemand bewegt wird, hat keine Beziehung damit, dass er zustehen über den Gedanke von die anderen Leute. Dier text sieht mir übertriebend aus, aber ich möchte gerne hören, wie die Leute in den Christlichen Ländern darüber denken.

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Beitrag von Kevin Hemkemeier Mo Feb 08, 2016 8:57 am

"Wem auch immer dieser Theologenhochmut zu freimachender Wahrheit verholfen haben mag - die vielen, denen die musikalische Neubelebung der Passion und das ubiquitäre Angebot ihrer Sendungen und Aufnahmen an die Schwelle dieser Erfahrung Zugänge verschaffen rücken dem Werk in der Furch vor Naivität eher ferner, als dass ihnen zur Verfeinerung der Aufmerksamkeit verholfen würde." (1)

Blumenberg stellt sich hier gegen eine zu häufige Reproduktion der Passion in Ton- und Filmaufnahmen.
Hält er die Passion für ein elitäres Stück, das wenigen vorbehalten ist?
Wie genau äußert sich die von ihm genannte Naivität, ist sie eher als Unterschätung der Bedeutung und "Ehrhabenheit" gedacht, die durch einfachen Zugang und Reproduktionsmöglichkeit entsteht, oder sind "Die Vielen" zu willkürlich mit ihrer Interpretation umgegangen, indem sie neue unkonventionelle Wege gehen?
Ich denke bei der letzten Frage an einige Adaptionen der Passion, z.B. "Die arbaische Passion."

(1) Blumenberg, Hans; Matthäuspassion, 3.Auflage, Frankfurt a.M.:Suhrkamp, 1988, S. 8-9

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Beitrag von mknurr Mo Feb 08, 2016 7:08 pm

Ich habe mich mit folgender Textstelle auf Seite 24(?) beschäftigt:

Fragen von theologischem Rang können aus der Beschäftigung mit der Bibel nur hervortreten, wenn deren Subjekt [...] auf seine Identität festgelegt wird. [...] Schon der Schöpfer selbst und im engeren Rahmen seines Handelns gibt Identitätsrätsel auf, die nicht solche eines etwa ohnehin abstrusen Textes sind. [...]

Besonders fasziniert an dieser Stelle hat mich, dass Blumenberg hier eine Kritik äußert, die in meinem Verständnis eigentlich eine Antwort ist. Dass Gott dem Menschen Rätsel aufgibt ist nach meiner Betrachtung ein Teil des Wesens Gottes. Angenommen es gibt einen Gott, der allmächtig ist, dann gehört es dazu, dass er/sie auch über einen größeren Geist verfügt als der Mensch und dies wiederum bedeutet, dass die Gedankengänge nicht nachvollziehbar sein müssen. Um genauer zu sein, spricht Blumenberg hier von Identitätsrätseln. Diese lassen sich aber auch unter dem Kontext der Allmacht subsumieren. In diesen Bahnen könnte ein gläubiger Mensch denken. Daher stellt sich mir die Frage, ob man nicht gläubig sein darf, um den Gedankengängen Blumenbergs folgen zu können? Im Folgenden würde sich dann die Frage anschließen, ob ein gläubiger Mensch die Matthäuspassion nicht verstehen kann?

Eine andere Frage, die sich mir stellt, ist, ob es überhaupt wichtig ist, dass man weiß von wem etwas stammt? Angenommen der Komponist der Matthäuspassion wäre unbekannt, würde man dann anders über das Stück denken? Die Musik bleibt schließlich die gleiche.

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Beitrag von Yuki Suzuki Di Feb 09, 2016 1:59 pm

Ich kann die Behauptund Blumenbergs, dass derjenige, der sich von der "Mattäuspassion bewegen lassen" möchte, bereit sein muss, sich einzugestehen, dass "Gott im Übermaß" beleidigt werden konnte. Für den Agnostiker oder Atheisten ist es von nebensächlicher Bedeutigung, ob "Gott" beleidigt wurde. Es bleibt für ihn nur ja nur das menschliche und damit irdische Drama. Für den Gläubigen ist es keine Frage des "Eingestehens", da er ja glaubt und damit für ihne sämtliche Widersprüche - zumindest in seinem Glauben- aufgelöst sind.

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Beitrag von _David_ Fr Feb 12, 2016 11:20 pm

Nach erneutem Lesen des Textes von Hans Blumenberg, bin ich der Ansicht, dass die folgende Textstelle, die wir gewiss nicht ohne Grund im Seminar besprochen haben, eine Kernfrage des gesamten Auszuges Hans Blumenbergs Buches darstellt:

"Das Mehr selbst tönt in der Passion" (1)

Meine Einschätzung: Säkularisierung trifft auf Mythos. Hans Blumenberg, der vor allem als kritischer Anthropologe und Mythologe das menschliche Wesen verstehen und der Theologie, speziell dem Christentum, ein wenig auf den Zahn fühlen wollte, beschäftigt sich nun mit der Matthäuspassion, die in einem stark christlich geprägtem Umfeld entstand, und verweist auf eine Differenzierung des "Mehr" und des textgebundenen Inhalts.
Ich vermute eine Erkenntnis, die aus einer gewissen Voreinstellung des Autors hervorgeht. Mich überzeugt diese Beobachtung, wenn es denn eine bzw. seine ist, nicht zur Gänze. Mich würde interessieren, was die Beweggründe Hans Blumenbergs sein könnten, dass er ausgerechnet auf die Matthäuspassion abzielt, um diese seine These zu konstituieren. Gibt es vielleicht Möglichkeiten, diesem "Mehr" mittels Hinzunahme vorheriger Werke über Religiosität etc., auf die Schliche zu kommen? Ich kann an dieses "Mehr" nämlich nicht so recht glauben.
_______________________________________________________________________
(1) Hans Blumenberg, Matthäuspassion, Frankfurt am Main (3. Auflage) 1988, S. 15.

_David_

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